Jaffé legt Insolvenzbericht zu Wirecard vor

Die Bilanz des Insolvenzverwalters ist vernichtend: 3,2 Milliarden Euro Schulden stehen einem Guthaben von nur 26 Millionen Euro gegenüber. Das Geld der Gläubiger, größtenteils Banken, versickerte wohl im unübersichtlichen Firmengeflecht der Wirecard-Töchter.
Die Zentrale der Wirecard AG | Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress
Die Zentrale der Wirecard AG | Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Der Insolvenzverwalter von Wirecard, Michael Jaffé, hat seine Bericht zur Lage des Bezahldienstleisters vorgelegt. Darin zeichnet der Anwalt laut Berichten von Handelsblatt und Süddeutscher Zeitung ein chaotisches Bild von dem einstigen Börsenstar und DAX-Konzern.

Liquiditätslücke von 99 Prozent

So tut sich bei dem insolventen Unternehmen wohl eine Liquiditätslücke von 99 Prozent auf: nur ein Prozent der aufgelaufenen Schulden kann bedient werden. Verbindlichkeiten von rund 3,2 Milliarden Euro, steht lediglich ein Guthaben von 26 Millionen Euro gegenüber.

Zudem kann der Insolvenzverwalter keine Forderungen aus Lieferungen und Leistungen geltend machen und hat auch kein kurzfristig verwertbares Vermögen gefunden. Der von ihm angesetzte Vermögenswert beträgt 428 Millionen Euro. Zieht man diesen Betrag von den Verbindlichkeiten ab, bleibt unterm Strich ein bilanzielles Minus von 2,8 Milliarden Euro.

Damit ist klar, dass Wirecard keine Chance hat, als Unternehmen weitergeführt zu werden. Eine schlechte Nachricht für die Schuldner - also die Banken und Anleihegläubiger.

Großteil der Schulden sind Bankverbindlichkeiten aus Kreditlinie

Rund 1,6 Mrd. Euro des angehäuften Schuldenbergs stammen aus einer Kreditlinie von 1,75 Mrd. Euro, die Wirecard zu rund 90 Prozent ausgeschöpft haben soll.

Das Geld kam unter anderem von der ABN Amro, der Commerzbank, ING und LBBW die jeweils Kredite von 200 Mio. Euro gewährten. Barclays, die Crédit Agricole, die DZ Bank und Lloyds stehen jeweils mit 120 Mio. Euro im Feuer. Bei der Bank of China, Citigroup, Deutsche Bank und der Mitsubishi UFJ Financial Group schlagen je 80 Mio. Euro zu Buche.

Die LBBW und die Commerzbank haben ihre Wirecard-Engagements bereits in den Bilanzen berücksichtigt: Bei der Landesbank sprach man in diesem Zusammengang von einem von Corona unabhängigen "Einzelengagement", aus dem ein Verlust von rund 160 Millionen Euro entstanden sei, der zum Halbjahr vollständig verarbeitet worden sei.

Mit Blick auf die DZ Bank heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Bericht des Handelsblatts zufolge aus Finanzkreisen, die Kreditlinie von 120 Millionen Euro war zu 90 Prozent gezogen. Davon habe das genossenschaftliche Spitzeninstitut rund 90 Prozent abgeschrieben.

LBBW verdient wegen Corona und Wirecard im ersten Halbjahr weniger

Die Commerzbank musste ihrerseits bereits 175 Mio. Euro abschreiben - und vermied ebenfalls, das Wort "Wirecard" bei diesem "Einzelfall" in den Mund zu nehmen. 

Das gute zweite Quartal wird die Commerzbank im Gesamtjahr nicht retten

Die ING wollte auf Anfrage von FinanzBusiness ihr Engagement bei Wirecard nicht kommentieren. Laut Bericht zum 2. Quartal hat aber auch die niederländische Bank bereits eine Abschreibung auf den Kredit an Wirecard in Höhe von 200 Mio. vorgenommen.

Laut Medienberichten soll die Deutsche Bank ihr Engagement von rund 80 Mio. Euro immerhin mit Hilfe von Derivaten abgesichert haben. Deutschlands größte Privatbank war bei Wirecard über den Kredit hinaus engagiert. Denn die Bank gab auch einen Kredit an Ex-CEO Markus Braun und fungierte als Joint Global Coordinator bei Wirecards Anleihe-Emission im vergangenen Jahr. Zudem soll sich Wirecard selbst wohl laut Medienberichten unter dem Projektnamen „Panther“. mit den Gedanken getragen haben, mit der Deutschen Bank zu fusionieren, heißt es in den Berichten.

Weiteres Geld kam auch von der KfW

Rund 900 Mio. Euro stammen zudem aus einer Wandelanleihe, gezeichnet von der japanischen Internet- und Telekommunikationsgruppe Softbank Group zeichnete, 500 Millionen Euro aus einer Anleihe, die institutionelle Investoren kauften.

Weitere 100 Mio. Euro lieh sich Wirecard bei der Staatsbank KfW. Die über die Tochter KfW Ipex begebene, unbesicherte Kreditlinie war im September 2018 mit einer Laufzeit von 364 Tagen abgeschlossen und im September 2019 verlängert worden.

KfW kommt wegen Wirecard ins Schwitzen 

Den möglichen Kreditausfall dort sieht die Bundesregierung entspannt, wie aus der Antwort (vom 20. August) auf eine kleinen Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervor geht. "Aus bankaufsichtlicher Sicht ergibt sich selbst bei einer vollständigen Abschreibung des Kredits keine Auswirkung auf die Solvenz der KfW", so die Bundesregierung. "Die Gesamtkapitalquote würde sich bei einem vollständigen Ausfall von 24,1 Prozent auf ca. 24,05 Prozent verringern."

Aus anderen Bar- und Avalkrediten erhielt Wirecard dann noch einmal 87 Millionen Euro.

Die Kreditsummen sind weg

Das Geld der Banken floss laut Jaffés Bericht in den „enormen Liquiditätsverzehr“ von Wirecard, im Wesentlichen also in Übernahmen, Kredite an angebliche Partnergesellschaften und in operative Verluste.

„Festzuhalten ist, dass die aufgenommenen Gelder regelmäßig zeitnah an Tochtergesellschaften weitergeleitet wurden und sich zum überwiegenden Teil nicht mehr bei der Schuldnerin befinden“, schreibt Jaffé laut Handelsblatt.

Das war wohl auch möglich, weil das Geld durch ein komplexes Gebilde aus Konzerngesellschaften geleitet wurde, wobei der Insolvenzverwalter nur schwer erfassen konnte, welche Wirecard-Tochter welche Dienstleistungen erbrachte.

„Die Funktionalitäten im Konzern schienen ebenso wie die Zuständigkeit von Mitarbeitern und Abteilungen – sei es bewusst oder unbewusst – willkürlich weltweit verteilt“, heißt es in dem Bericht.

Massedarlehen wird schwierig

Vor dem Hintergrund der verlorenen Milliarden, wird Insolvenzverwalter Jaffé es schwer haben noch ein Institut zu finden, dass ihm ein Massedarlehen gewährt. Ein solcher Kredit wird im Insolvenzverfahren genutzt, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Laut Handelsblatt sollen aber zumindest die Commerzbank und auch die ING bereit sein, mit Jaffé über eine solches Massedarlehen zu verhandeln.

Die anderen Banken sollen sich bislang laut Information des Handelsblatts vor allem darum bemüht haben, ihre Wirecard-Kredite zu verkaufen.

Nur die Wirecard Bank steht noch einigermassen gut da

Für die Besicherung eines möglichen Massedarlehens kann Jaffé aber vermutlich nicht auf die Wirecard Bank zurückgreifen, weil die Bafin in ersten Gesprächen bereits angedeutet habe, dass die Guthaben dort eher nicht verpfändet werden dürfen.

Dabei ist die Bank noch die Konzerntochter mit einem einigermassen rosigen Ausblick. Ende 2019 hatte die Bank laut Jaffé „Verbindlichkeiten gegenüber außenstehenden Kunden“ in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro. Bis Mitte Juli 2020 wurden die auf rund 387 Millionen Euro reduziert und sollen auch noch weiter gesenkt werden.

Geht es nach Jaffé, wird die Bank wohl mit dem Kerngeschäft verkauft werden - auch weil sie mit den anderen Konzerntöchtern so eng verflochten ist.

Haftungsansprüche werden geprüft

Nun prüft der Insolvenzverwalter vor allem, woher er noch Geld holen kann. Ein möglicher Weg sind Klagen gegen die (Ex)-Vorstände und gegen die Wirtschaftsprüfer von EY.  Die könnten dann - wie berichtet - auch einen derzeitigen Deutschbanker treffen.

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Damit stellt sich eine immer offensivere Front an Geschädigten auf Klagen gegen die Verantwortlichen ein - denn auch die geprellten Aktionäre haben Vorstände und Wirtschaftprüfer bereits im Blick.

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