"Ein pauschales Verbot des Payment-for-Orderflow hielte ich für einen ganz fatalen Fehler", sagt Florian Toncar

Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium nimmt das beliebte Geschäftsmodell der Neobroker in Schutz, plädiert im FinanzBusiness-Interview für ”faire” Regeln für Krypto-Asset-Anbieter und sieht die BaFin nach dem Fall Wirecard gut gerüstet für die Überprüfung neuer Geschäftsmodelle.
Foto: picture alliance / photothek | Felix Zahn
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Ulrike Barth und Sonja Ingerl

Im ersten Teil des FinanzBusiness-Interviews erläuterte der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium seine Erwartungen an die EZB-Zinspolitik und seine Ideen, wie Deutschland in der Geldwäschebekämpfung besser werden kann.

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Im zweiten Teil erläutert er, warum auch die Krypto-Branche Regeln dafür braucht - und macht sich dafür stark, genauer hinzuschauen, bevor Geschäftsmodelle von Fintechs durch zu viel Regulierung behindert werden.

Herr Toncar, die Ampelkoalition macht sich mit Blick auf die Finanzbranche auch für mehr digitale Innovation stark. Soll Deutschland zu einem Mekka für Fintechs werden?

”Wir haben eine tolle Fintech-Landschaft in Deutschland und wollen, dass das so bleibt. Digitale Innovationen im Finanzsektor sind eine enorme Chance – für Kunden, die zeitgemäße und barrierefreie Produkte nutzen möchten, aber auch für den Standort Deutschland, weil wir technologisch führend sein wollen. Derzeit wird viel über wirtschaftliche Abhängigkeiten gesprochen, wenn es um Energielieferungen geht. Aber wir müssen auch auf den Technologiesektor schauen – auch da sollten wir auf eigene europäische Fähigkeiten setzen.

Deshalb brauchen wir ein positives Umfeld für FinTechs: Angefangen bei zeitgemäßen Datenschutzstandards und -aufsicht bis hin zur Finanzmarktregulierung, die oft nicht proportional angewandt wird. Gerade bei echten digitalen Innovationen ist es schwierig, sie regulatorisch richtig zu erfassen. Da tun sich die Finanzaufseher häufig schwer.

Aber gerade bei Fintechs ist das Tempo ein entscheidender Faktor. Viele junge Unternehmen erwarten von der Aufsicht daher vor allem frühzeitige Verbindlichkeit. Schnelle Kommunikation der BaFin, unkompliziert digital und auch mit Englisch als Verwaltungssprache – das sind Dinge, die wir für den Finanzplatz tun können, ohne dadurch Sicherheitsstandards aufzugeben.”

Haben Sie bereits konkrete Projekte zur Förderung des Fintech-Sektor vor Augen?

”Wir haben beispielsweise vereinbart, dass das elektronische Wertpapiergesetz auch auf Aktien ausgeweitet wird. Bei dem Gesetz ist Deutschland tatsächlich einmal früher dran gewesen als viele andere in der EU, und das werden wir auch weiter so verfolgen. Außerdem wollen wir auch die Digitalisierung der Fondsanteile auf den Weg zu bringen.”

Auf europäischer Ebene wird derzeit über ein Verbot des sogenannten Payment-for-Orderflow diskutiert – ein Gebühren-Modell, dass vor allem unter Neobrokern beliebt ist, um ihr Angebot ohne Gebühren für den Kunden anbieten zu können. Nun heißt es, dass die Bundesregierung sich gegen ein solches Verbot stellen will?

”Ein pauschales Verbot des Payment-for-Orderflow hielte ich für einen ganz fatalen Fehler. Im Finanzministerium sind wir davon überzeugt, dass das Bezahlmodell große Chancen mit sich bringt und den Wettbewerb enorm belebt hat. Bei einer Gesamtbetrachtung von Kosten und Nutzen für die Kunden kommen wir zu dem Ergebnis, dass Payment-for-Orderflow häufig Nutzen stiften kann.

Ein Verbot würde Europas Entwicklung im Bereich Fintechs und Kapitalmärkte deutlich zurückwerfen. Wir sollten froh sein, dass wir in diesem Bereich wettbewerbsfähige und innovative Unternehmen haben, die dafür sorgen, dass junge – und auch ältere Menschen – plötzlich anfangen, sich mit dem Thema Geldanlage zu beschäftigen.

Wenn wir in Europa trotzdem eine Diskussion über Vergütungen für Handelsplätze führen wollen, dann bitte aber auch über die Rabatte, die große Handelsteilnehmer von den Börsen bekommen. Wenn wir das Fass aufmachen, dann machen wir es ganz auf.”

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In Europa wurde zuletzt hitzig über ein „Proof-of Work“-Verbot gestritten, dass kurz vor der Abstimmung des Europäischen Parlaments Eingang in den Regulierungsentwurf zu Kryto-Assets (Markets in Crypto-Assets Regulation. MiCA) finden sollte – und gerade noch abgebogen werden konnte. Eine ähnliche Diskussion gab es auch zu den sogenannten „Unhostet Wallets“, die Transaktionen ohne Intermediäre wie Börsen oder andere Dienstleister ermöglichen, aber im Sinne der Geldwäscheprävention strenger reguliert werden sollen. Ist Europa gerade kryptofeindlich gestimmt?

”Die Diskussion, wie wir auch bei Krypto-Assets den Schutz vor Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung hinbekommen, müssen wir führen. Aber ich glaube nicht, dass es eine feindselige Einstellung gegenüber Krypto-Assets in Europa gibt. Die Schwierigkeit liegt eher darin, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen und gleichzeitig eine angemessene Regulierung durchzusetzen.

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Im Fall der „Unhosted Wallets“ will man vor allem Ausweicheffekte vermeiden. Für die Bundesregierung kann ich sagen: Wir wollen, dass in diesem Bereich ein etablierter und gleichzeitig wachsender Markt entsteht. Krypto-Assets sind die Zukunft. Die Voraussetzung für ein solches Wachstum ist ein guter regulatorischer Rahmen, die EU-Verordnung MiCA ist daher auch aus Sicht des Marktes im Prinzip ein wichtiger Fortschritt, den wir nicht infrage stellen sollten.”

Sie sagen, dass auch die deutsche Aufsicht sich anpassen muss, um neue Technologien erfassen zu können. Ist Sie dafür schon fit genug?

”Das Thema Technologie & IT ist in der internationalen Aufsichtslandschaft eigentlich das Megathema überhaupt. Alle Standardsetzer arbeiten mit Hochdruck daran, technologiegetriebene Geschäftsmodelle besser zu verstehen und entsprechende Kompetenzen aufzubauen. Wie jede traditionelle Finanzaufsicht stellt sich auch die BaFin diesem Thema.

Wir sind als Bundesfinanzministerium mit der BaFin in intensiven Gesprächen darüber, was wir tun können, um Deutschland zu einem guten und angemessen regulierten Fintech-Standort zu machen. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die der BaFin-Präsident Mark Branson und sein Team in den vergangenen Monaten geleistet haben. Die Behörde kam aus einer tiefen Krise durch den Wirecard-Skandal und ist jetzt auf einem guten Weg.”

Sie waren eine der starken Stimmen im Wirecard Untersuchungsausschuss: Reichen die angestoßenen Reformen der BaFin wirklich aus? Und wie stehen sie zu der Diskussion, die Behörde aus der Fachaufsicht durch das Bundesfinanzministerium zu entlassen?

”Wirecard war nicht nur für die BaFin, sondern auch für die Aufsichtsräte und Wirtschaftsprüfer in Deutschland – und übrigens auch für die Politik – ein Weckruf. Nach anfänglichem Zögern hat überall eine tiefe Fehleranalyse stattgefunden. Auch die personellen Veränderungen an der Spitze der BaFin waren unausweichlich. Die Finanzaufsicht hat in diesem Zusammenhang ganz grundsätzlich ihre eigene Arbeitskultur kritisch hinterfragt. Wir brauchen eine BaFin, die sich mit dem nötigen Nachdruck um die wichtigen Themen und Probleme kümmert und nicht nur Papier produziert und Checklisten abhakt.

Der Prozess, den Mark Branson etwa in Richtung Digitalisierung oder mit der neuen Fokus-Aufsicht angestoßen hat, ist sehr wichtig – auch wenn er natürlich noch nicht abgeschlossen ist. Bei der Analyse der Kultur in der BaFin hat sich gezeigt, dass es in der Behörde die Tendenz gab, sich wegen zu vieler Kleinigkeiten im Ministerium abzusichern. Das beschränkt natürlich die Handlungsfähigkeit einer solchen Behörde.

Daher würde ich sagen: Ja, wir müssen auch die Rechts- und Fachaufsicht neu tarieren. Da, wo die BaFin losgelöst vom Einzelfall Standards für den Markt setzt, ist es notwendig, sich mit dem Finanzministerium abzustimmen. Aber wo es um Einzelfallentscheidungen gegenüber Unternehmen geht, ist die BaFin näher dran.”

Das heißt aber auch, im Mindset der BaFin wäre ein Fall Wirecard heute nicht mehr möglich?

”Wir hoffen das sehr, aber das hängt von vielen Faktoren ab. Hätten in der BaFin Wertpapieraufsicht, Bankenaufsicht und Geldwäscheaufsicht seinerzeit wirklich zusammengearbeitet und alles, was über das Unternehmen Wirecard bekannt war, nebeneinander gelegt, hätte sich wahrscheinlich für jeden der drei Bereiche ein anderes, kompletteres Bild ergeben.”

Seit Neustem ist die BaFin auch noch für kollektiven Verbraucherschutz zuständig– ist es sinnvoll, der Behörde noch ein Thema obendrauf zu packen?

”Der Verbraucherschutz wird ja bereits heute von einem bewährten mehrstufigen System geschützt, zu dem zuallererst das Zivilrecht mit individuellen Klagen und Verbandsklagen beiträgt. Darüber hinaus haben wir mit dem Ombudsystem der Banken eine gut funktionierende Form der Selbstregulierung. Viele Verbraucherbeschwerden werden so außergerichtlich und kostengünstig geklärt.

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Die BaFin wiederum hat entsprechend ihrem bestehenden gesetzlichen Auftrag den kollektiven Verbraucherschutz im Blick. Individuelle Verbraucherinteressen kann sie nach meiner Überzeugung nicht sinnvoll und flächendeckend schützen, jedenfalls nicht ohne andere Aufgaben zu vernachlässigen.

Auch aus Verbrauchersicht wäre es ein sehr zweischneidiges Schwert, wenn die BaFin für den Schutz jedes einzelnen Verbrauchers zuständig wäre: Dadurch würde eine falsche Sicherheit erzeugt, weil viele Kunden dann zum Beispiel zu Unrecht darauf vertrauen würden, dass ein von der staatlichen BaFin geprüftes Finanzprodukt automatisch werthaltig ist.”

Muss man die Banken am Ende sogar vor dem Verbraucherschutz schützen?

”Bei jedem Eingriff in den Markt müssen wir überlegen, was wirklich hilft und am Ende die Verbraucher schützt. Ich bin mir persönlich nicht sicher, ob alle Teile der MiFID, als bedeutendem Regelwerk für den Verbraucherschutz im Finanzsektor, das beste Ergebnis für den Kunden hervorbringen. Einiges macht die Beratung vor allem teurer und produziert gleichzeitig nur Scheinsicherheit. Wie überall in der Gesetzgebung geht es auch beim Thema Finanzmarktregulierung um Verhältnismäßigkeit.”

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