Mit Andrea Orcel kehrt die Unicredit zu ihren italienischen Wurzeln zurück

FinanzBusiness Profil: Als Investmentbanker begleitete er die Fusion der Unicredit-Vorgängerbanken sowie den Kauf der deutschen Tochtergesellschaft HVB. Unter seiner Führung und auf Drängen der heimischen Politik könnte die Unicredit auf eine erneute Übernahme zusteuern.
Andrea Orcel, neuer CEO der Unicredit | Foto: picture alliance / AP Photo | Sang Tan
Andrea Orcel, neuer CEO der Unicredit | Foto: picture alliance / AP Photo | Sang Tan

Am Mittwochabend fanden die Spekulationen um die Nachbesetzung des Unicredit-Chefpostens ein Ende: Die Wahl ist auf den Italiener Andrea Orcel gefallen.

Andrea Orcel wird neuer CEO der Unicredit  

Der gebürtige Römer studierte Wirtschaft an der Sapienza-Universität in seiner Heimatstadt, erwarb später einen MBA an der Kaderschmiede INSEAD in Frankreich. Seine Karriere begann er 1987 im "Fixed Income"-Bereich bei Midland Montagu, wechselte nach einem Jahr zu Goldman Sachs und war ab 1990 für zwei Jahre bei der Boston Consulting Group tätig.

1992 kam er zum Investmentbanking bei Merrill Lynch und stieg innerhalb von zehn Jahren zum Head der Financial Institutions Group (FIG) auf. 2009 folgte die Berufung zum Chairman bei der Bank of America Merrill Lynch.

Im Juli 2012 wechselte er als Co-Head Investmentbanking zur schweizerischen Großbank UBS und strich dabei eine Ablösesumme in Höhe von rund 26 Mio. Dollar ein. Im November 2012 wurde er alleiniger Chef der Investmentbank.

Rechtsstreit nach überraschender Kehrtwende

Ganz dem Klischee entsprechend scheint der Investmentbanker Orcel wenig harmoniebedürftig zu sein - derzeit befindet er sich noch im Rechtsstreit mit der spanischen Bank Santander, bei der er eigentlich den Chefposten einnehmen sollte. Dafür kehrte er 2018 der UBS den Rücken, dort war er sogar als Nachfolger des früheren CEO Sergio Ermotti im Gespräch gewesen.

Doch Santander machte damals in letzter Minute einen Rückzieher. Orcel fordert nun laut Medienberichten eine Entschädigung in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe und war seither auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Die UBS, die zuvor laut einem Bericht mit allen Mitteln um den Verbleib des Italieners gekämpft hatte, wollte ihn nach dem geplatzten Wechsel zu Santander nicht mehr.

Auch beim nun angekündigten Wechsel an die Spitze der größten Bank Italiens muss Orcel von den Gremien bestätigt werden. Er wird auf der kommenden Hauptversammlung am 15. April den Aktionären zur Wahl vorgeschlagen und im Fall seiner Wahl vom Board of Directors bestätigt.

Transaktionserfahrung Orcels könnte sich nun auszahlen

Das Santander-Fiasko scheint der gebürtige Römer nun hinter sich gelassen zu haben. Bei der Unicredit erwarten ihn große Herausforderungen: Italien wurde 2020 als erstes Mitgliedsland der Europäischen Union hart von der Corona-Pandemie getroffen. Die angeschlagene italienische Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS), mehrheitlich in Staatseigentum, sucht dringend einen Käufer - die Regierung soll auf eine Übernahme durch die Unicredit drängen.

Da kommt der erfahrene Investmentbanker, der bereits die Fusion der Unicredit-Vorgängerbanken UniCredito mit der Credito Italiano und den Sparkassen von Verona, Turin und Treviso begleitete, wie gerufen. In einem im Mai 2015 veröffentlichten Interview mit der Financial Times (FT) erzählte er, dass Investmentbanking schon immer sein "Traum" gewesen wäre; er habe bereits seine Abschlussarbeit über das Thema verfasst.

Der Investmentbanker beriet sowohl Unicredit als auch MPS

Die Unicredit sei für "lange, lange Zeit" einer seiner besten Mandanten geblieben, sagte er im FT-Interview. Diese Verbindung scheint ihm nun die Tür zu einer der anspruchsvollsten Herausforderungen seiner Karriere geöffnet zu haben - sollte die Übernahme der MPS tatsächlich über die Bühne gehen, stünde im Nachgang auch die Integration des angeschlagenen Bankhauses in die Unicredit-Gruppe an.

Bereits 2015 wurde er laut FT als CEO der kriselnden MPS in Erwägung gezogen, der er zuvor bei Kapitalerhöhungen beratend beiseite gestanden hatte. Doch es wurde auch Kritik an seinen Manager-Qualitäten laut - Gerüchte über seinen fordernden Arbeitsstil und nächtliche Weckrufe bei seinen Mitarbeitern kamen auf. Die hohe Fluktuation im UBS-Investmentbanking sei auch auf seinen Führungsstil zurückzuführen gewesen.

"Ja, es stimmt, ich bin sehr fordernd", räumte er ein, stritt überzogene Erwartungen an Mitarbeiter jedoch ab. Spätestens seit Geburt seiner Tochter in 2011 habe sich sein Blick auf die Work-Life-Balance verschoben, erzählte er.

Bei seinen Mandanten wiederum gilt der 57-Jährige als umso beliebter - Emilio Botin, der 2014 verstorbene Präsident von Santander, soll ihm nach jeder Transaktion, an der sie gemeinsam arbeiteten, eine handgeschriebene Dankeskarte übermittelt haben. Der Kauf der einstigen Santander-Tochter Banca Antonveneta durch MPS in 2008, bei der Orcel ebenfalls beraten hatte, stellte sich allerdings als Fehlgriff heraus.

Strategiewechsel bei der Unicredit denkbar

Mit der Besetzung Orcels könnte sich die Unicredit von dem Expansionskurs seines Vorgängers, Jean Pierre Mustier, nun grundlegend abwenden. Aktuell erzielt das Institut mit Sitz in Mailand die Hälfte seiner Einnahmen in Deutschland, Österreich und Osteuropa.

Ungeachtet Orcels Nationalität und Heimatverbundenheit ist die Berufung eines Investmentbankers als Chef des Kreditinstituts in jedem Fall ein starkes Signal angesichts der immer wieder aufflammenden Diskussion bezüglich der weiteren grenzüberschreitenden Konsolidierung im europäischen Bankensektor.

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