"Wir stehen vor einer Zäsur", sagt Christoph Wengler

Im Interview mit FinanzBusiness spricht das Mitglied der VÖB-Geschäftsleitung über die größten Herausforderungen für Banken, und erklärt, warum das Thema EDIS bei der Vollendung der europäischen Bankenunion überbewertet wird. Zudem mahnt er, dass Regulierung den Wirtschaftsaufschwung nach Corona abwürgen könnte.
Christoph Wengler | Foto: VÖB
Christoph Wengler | Foto: VÖB

"Wir stehen vor einer Zäsur", sagt Christoph Wengler, Mitglied der Geschäftsleitung des Bundesverbands Öffentlicher Banken (VÖB), im Interview mit FinanzBusiness.

Wengler, im VÖB zuständig für den Geschäftsbereich Politik, Europa und Internationale Beziehungen, verweist auf das Ende der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU), die Corona-Pandemie und den Strukturwandel, in dem Europa seiner Meinung nach mittendrin steckt.

Dabei treiben den in Brüssel ansässigen Verbandsvertreter vor allem die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung an. Insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit sieht sich der VÖB in einer Pionierrolle. "Wir hatten das Thema Nachhaltigkeit schon lange vor dem 'Green Deal' der EU-Kommission auf der Agenda. Unsere erste Veranstaltung fand in Brüssel schon 2016 statt. Damals noch unter dem Titel Green Finance. Der Begriff Sustainable Finance war noch nicht erfunden", ist Wengler überzeugt.

Treiber der Nachhaltigkeit

Er sieht gerade die öffentlichen Banken als Treiber der Entwicklung. Viele haben Nachhaltigkeit in ihre Geschäftsmodelle integriert, beispielsweise durch die Begebung von Green Bonds. "Es benötigt aber auch Augenmaß, etwa bei der Entwicklung der Transparenzanforderungen im Rahmen der Taxonomie", sagt Wengler.

"Von großen Konzernen kann man natürlich erwarten, dass sie detailliertere  Daten bereitstellen als von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Und schon gar nicht kann man erwarten, dass Betriebe Daten rückwirkend bereitstellen müssen. Damit wären sie überfordert", stellt Wengler den Verbandsstandpunkt dar.

Sonderrolle in der Finanzwirtschaft

Das Faible der Förderbanken für Nachhaltigkeit und Digitalisierung rührt nicht von ungefähr. Per Gesetz sind sie verpflichtet, Projekte zu finanzieren, die im öffentlichem Interesse sind, ohne dabei mit Geschäftsbanken in Konkurrenz zu treten.

"Wir sind gespannt, wie die Politik und vor allem die nächste Bundesregierung die Rolle der Förderbanken in der Transformation definiert", sagt Wengler im Gespräch mit FinanzBusiness. Welche Partei die kommende Bundesregierung anführen wird, ist dem Verbandsfunktionär dabei egal: "Wir können natürlich mit der Kanzlerkandidatin und den Kanzlerkandidaten der Parteien gut leben", sagt er im Interview. Und das ist für ihn nicht nur höfliche Neutralität im Vorfeld des Urnengangs.

"Unsere Mitglieder, die Förderbanken und Landesbanken, arbeiten heute ja schon in den Bundesländern mit den unterschiedlichsten Koalitionen zusammen. Ob Jamaika in Schleswig-Holstein, Grün-Schwarz in Baden-Württemberg, Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfallen oder Rot-Rot-Grün in Berlin", begründet Wengler.

Mit Brüsseler Bürokratie vertraut

Das Mitglied der VÖB-Geschäftsleitung, dass mit der EU-Bürokratie bestens vertraut ist, hat trotzdem eine politische Haltung - in Fragen der Vollendung der Bankenunion. Auch wenn der Deutsche-Bank-Chef und künftiger Präsident des Bundesverbands deutscher Banken die Werbetrommel für eine gemeinsame europäische Einlagensicherung (EDIS) rührt.

Sewing sucht in Sachen Edis das Gespräch mit Sparkassen und Volksbanken 

"Es gibt eine langjährige gemeinsame Haltung der Deutschen Kreditwirtschaft zu EDIS, die die Vollvergemeinschaftung über eine europäische Einlagensicherung ablehnt", sagt Wengler. Und nicht immer seien die Positionen der Regierungen und der Kreditwirtschaft deckungsgleich. "Die französische Regierung ist für EDIS, die Banken in dem Land nicht."

Knackpunkt pendelt hin und her

Dass der Knackpunkt schnell gelöst werden kann, glaubt Wengler nicht. "Das pendelt immer hin her. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat einen Ansatz vorgelegt. Die der Portugiesen auch - nur einen ganz anderen."

Vor der Bundestagswahl im Herbst wird das Thema nicht gelöst, so Wengler. Und in Frankreich steht im nächsten Jahr eine Wahl an.

Für den Verbandsfunktionär ist das Thema EDIS aber auch überbewertet: "Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, dass die Bankenunion damit steht oder fällt. Dabei ist der Blick auf EDIS allein beschränkt. Es gibt auch andere sehr wichtige Themen, wie die Reduktion der notleidenden Kredite, Gläubigerhaftung und das Insolvenzrecht."

Nicht zu unterschätzen sind für Wengler aber die Risiken, wenn regulatorische Erleichterungen im Zuge der Corona-Pandemie zu schnell zurückgenommen und neue schärfere Vorschriften eingeführt werden.  "Basel IV direkt nach der Krise, das ist schon problematisch. Wir dürfen die Phase des Aufschwungs nach Corona nicht gefährden", sagt Wengler mit Blick auf mögliche höhere Eigenkapitalanforderungen für die Banken.

Corona-Folgen noch nicht abzuschätzen

Das Ausmaß der Corona-Pandemie mag er noch nicht abschätzen: "Man kann noch nicht abschätzen, wo wir am Ende des Jahres stehen, denn die Krise ist leider noch nicht überstanden. Es wird sicher mehr Insolvenzen geben und damit auch notleidende Kredite, die ihre Spuren in den Bankbilanzen hinterlassen. Bislang verzeichnet die Branche  aber nur eine geringe Zahl von Kreditausfällen. Wir sind vorsichtig optimistisch, dass die Institute da gut rauskommen – auch vor dem Hintergrund der soliden Eigenkapitalausstattung der Banken", resümiert Wengler für FinanzBusiness.

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