Wirecard 2020: Ein Jahr zwischen Fakten und Fiktionen

Markus Braun ist entzaubert, Jan Marsalek entwischt - und Milliarden fehlen. FinanzBusiness schaut zurück: Ein Skandal in Bildern.
Markus Braun, Geschäftsführer bei Wirecard, spricht während der Innovationskonferenz DLD (Digital Life Design) auf der Bühne. | Foto: picture alliance/dpa | Lino Mirgeler
Markus Braun, Geschäftsführer bei Wirecard, spricht während der Innovationskonferenz DLD (Digital Life Design) auf der Bühne. | Foto: picture alliance/dpa | Lino Mirgeler

Die Zukunft muss kommen. Markus Braun beginnt sein letztes Jahr als CEO von Wirecard mit einem verheißungsvollen Vortrag. Bei der von Burda ausgerichteten Innovationskonferenz DLD in München ist er am 20. Januar nach Wikipedia dran und versucht thematisch erst einmal eine Brücke zu bauen, etwas ungelenk. Seinen Zuhörern erklärt er: "Auch in bin ein pathologischer Optimist."

Beim DLD steht Braun ganz in Schwarz auf der Bühne, die Gediegenheit in Person - später im Jahr wird er noch einmal so auftreten, vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss. Nur wird er dann schweigen. Bei seinem Auftritt auf der Konferenz, redet er noch - über die Zwangsläufigkeit der Digitalisierung und die Notwendigkeit von Profiten, über den Zahlungsverkehr der Zukunft und seine Company an und für sich.

Die Überlegenheit, mit der er auftritt, nehmen ihm allerdings schon da längst nicht mehr alle ab: Wirecard muss sich mit Vorwürfen auseinandersetzen, die Bilanz gefälscht zu haben. Die Sonderprüfung dazu läuft bei der KPMG seit gut drei Monaten...

Wirecard, Unternehmenszentrale in Aschheim | Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Dave Bedrosian/Geisler-Fotopress
Wirecard, Unternehmenszentrale in Aschheim | Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Dave Bedrosian/Geisler-Fotopress

Im grauen Haus. Eine ganz andere Bühne bietet Markus Braun und seinen Vorständen die dunkelgraue Unternehmenszentrale in Aschheim bei München.

Unzählige Berichte wurden mit dem Gebäude bebildert – hineinschauen ließ sich der Konzern ja nicht. Das erste Quartal ging im Wesentlichen damit dahin, sich öffentlich abzuriegeln und ansonsten weiter das gewohnte Vokabular zu bedienen.

Als Mitte Februar das vorläufige Ergebnis für 2019 veröffentlicht wurde, sagte Markus Braun in einer Pressemitteilung noch: "Dies ist ein starkes Ergebnis auf unserem Weg des profitablen Wachstums."

Im April legte dann Aufsichtsrätin Susana Quintana-Plaza ihr Mandat nieder. "Aus persönlichen Gründen" hieß es damals. Ihr vorangegangen war der ehemalige Chefaufseher Wulf Matthias, er legte bereits im Januar sein Amt nieder. Heute weiß man, es waren eindeutige Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt in Aschheim.

Markus Braun mit Alexander von Knoop | Foto: picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON
Markus Braun mit Alexander von Knoop | Foto: picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON

Machtverlust im Mai. Bewegung ins Bild kommt im Mai. Nachdem KPMG den lang erwarteten Sonderbericht geliefert hatte, wurde konzernintern umgebaut – was für Markus Braun einigen Machtverlust bedeutete.

Wirecard-Aufsichtsrat beschränkt Macht des Vorstands

Laut Beschluss des Aufsichtsrat soll der US-Jurist James Freis ab 1. Juli an seine Seite rücken und im Vorstand das neu geschaffene Ressort Compliance führen. Am Verantwortungsbereich von Finanzvorstand Alexander von Knoop, im Foto mit Markus Braun zu sehen, ändert sich nichts. Kurz darauf bestätigt er die Prognose für 2020. "Unser Neukundengeschäft entwickelt sich weiterhin stark."

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Doch Fragen bleiben, auch bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): Die Behörde kündigt an, den KPMG-Sonderbericht Seite für Seite zu prüfen.

"Sobald wir Anhaltspunkte dafür finden, werden wir unverzüglich Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft stellen", so Elisabeth Roegele, Chefin der BaFin-Wertpapieraufsicht, in einer Telefonkonferenz am 12. Mai.

Ein ziviles Polizeifahrzeug mit einer Kelle auf dem Armaturenbrett steht auf dem Gelände der Wirecard-Zentrale. I | Foto: Ein ziviles Polizeifahrzeug mit einer Kelle auf dem Armaturenbrett steht auf dem Gelände der Wirecard-Zentrale. I
Ein ziviles Polizeifahrzeug mit einer Kelle auf dem Armaturenbrett steht auf dem Gelände der Wirecard-Zentrale. I | Foto: Ein ziviles Polizeifahrzeug mit einer Kelle auf dem Armaturenbrett steht auf dem Gelände der Wirecard-Zentrale. I

Strafermittler rücken an. Am 5. Juni durchsuchen Ermittler der Staatsanwaltschaft die Unternehmenszentrale - Auslöser soll eine Anzeige der BaFin gewesen sein, bei der es um zwei Ad-hoc-Mitteilungen und derer Auswirkung auf den Börsenkurs ging.

Staatsanwaltschaft durchsucht Wirecard-Zentrale

Foto: picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH
Foto: picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH

Überhaupt geht es ab Mitte Juni Schlag auf Schlag:

  • 18.06.20: Der Jahresabschluss 2019 wird erneut verschoben. COO Jan Marsalek wird freigestellt und Freis mit sofortiger Wirkung Compliance-Vorstand.
  • 19.06.20: Markus Braun tritt als CEO zurück, nachdem die Philippinischen Großbanken die Existenz der Wirecard-Treuhandkonten verneinten.
  • 22.06.20: Der Vorstand gesteht ein, dass die 1,9 Mrd. Euro auf philippinischen Treuhandkonten "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren.
  • 23.06.20: Ex-CEO Markus Braun wird festgenommen und kommt gegen Auflagen und eine Millionenkaution zunächst wieder frei.
  • 25.06.20: Wirecard stellt Insolvenzantrag.

August// Ein Fahndungsaufruf nach Jan Marsalek, Ex-Vertriebsvorstands des Dax-Konzerns Wirecard, ist im Stadtteil Horn auf einer Leuchtreklame angezeigt. Im milliardenschweren Bilanzskandal bei Wirecard sollen philippinische Einwanderungsbeamte Reiseunterlagen Marsaleks gefälscht haben. | Foto: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt
August// Ein Fahndungsaufruf nach Jan Marsalek, Ex-Vertriebsvorstands des Dax-Konzerns Wirecard, ist im Stadtteil Horn auf einer Leuchtreklame angezeigt. Im milliardenschweren Bilanzskandal bei Wirecard sollen philippinische Einwanderungsbeamte Reiseunterlagen Marsaleks gefälscht haben. | Foto: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Der verlorene Mann. Neben den Fragen, wie die Zahlen genau gefälscht wurden und wie der Skandal so lange unentdeckt bleiben konnte, entspinnt sich ein Agenten-Thriller um Jan Marsalek. Es ranken sich viele Gerüchte um den Ex-COO. Erst heißt es, er sei auf den Philippinen. Dann ging man kurzzeitig davon aus, dass er sich der Justiz stellen wolle.

Im Juli lautete das Gerücht, er habe sich nach Weißrussland abgesetzt. Gleichzeitig tauchen vermeintlich private Chatnachrichten des ehemaligen Vorstands auf. Im Oktober hieß es, er war wohl früherer V-Mann des österreichischen Nachrichtendiensts.

Fest steht bis heute nur: Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht und soll Dreh- und Angelpunkt des Skandals gewesen sein.

Anne Leidig, Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft München I, gibt eine einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München I zu den neuesten Entwicklungen im Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Wirecard AG ab. | Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel
Anne Leidig, Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft München I, gibt eine einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft München I zu den neuesten Entwicklungen im Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Wirecard AG ab. | Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Die Aufklärung läuft an. Aber nicht nur Marsalek ist Teil der Ermittlungen. Die Staatsanwaltschaft München I setzt Ex-CEO Braun im Juli wieder fest, genau wie einen ehemaligen Manager der Wirecard Dubai-Tochter, sowie den ehemaligen Finanzvorstand und den ehemaligen Head of Accounting.

Seit September will dann auch die Politik aufklären. Die Opposition beruft einen Untersuchungsausschuss ein, um die Verantwortlichen auf der politischen Bühne zur Rechenschaft zu ziehen.

Markus Braun vor dem Untersuchungssausschuss | Foto: Markus Braun vor dem Untersuchungssausschuss
Markus Braun vor dem Untersuchungssausschuss | Foto: Markus Braun vor dem Untersuchungssausschuss

Die stillen Teilhaber. Dort muss auch Ex-CEO Braun in den Zeugenstand treten. Dabei bleibt er seiner früheren Linie treu: Schwingt in seinem vorbereiteten Statement wohlgewählte Worte - verbittet sich aber Nachfragen und verweigert jede weitere Aussage.

Braun sieht kein unlauteres Verhalten bei Aufsicht oder Politik 

Gleichzeitig ranken sich nahezu sagenumwobene Annahmen darüber, wie stark sein Einfluss auf andere Personen ist. Er könne per Blickkontakt Zeugenaussagen und damit die Ermittlungen beeinflussen. Er selbst kündigt an, er wolle mit der Staatsanwaltschaft kooperieren.

Wirecard Untersuchungsausschuss befragt Markus Braun und weitere Ex-Manager

Der Untersuchungsausschuss befragte bislang außerdem Lobbyisten, Regierungsberater, sowie Vertreter der Abschlussprüfer-Aufsicht Apas - und Wirtschaftsprüfer selbst.

Zentrale von EY in der Friedrichsstraße in Berlin | Foto: Zentrale von EY in der Friedrichsstraße in Berlin
Zentrale von EY in der Friedrichsstraße in Berlin | Foto: Zentrale von EY in der Friedrichsstraße in Berlin

Diese jedoch verhalten sich ähnlich schweigsam wie Braun. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) wollten zunächst nicht aussagen, da sie befürchteten gegen ihre Verschiegenheitspflicht zu verstoßen. Zwei EY-Spitzenmanager sowie ein Berater von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Baker Tilly erhielten dafür eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro.

Mittlerweile erbitten sie, von der Schweigepflicht entbunden zu werden. Der Druck scheint zu groß, zumal sich andere Institute und Unternehmen von der Prüferkanzlei abwenden, wie beispielsweise die KfW.

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Die ersten Verlierer. Die Tragik des Skandals bildet sich vor allem aber auch im Kleinen ab. Denn hunderte Privatanleger bangen um ihr investiertes Kapital in den ehemaligen Börsen-Star Wirecard, dessen Aktie plötzlich nur noch wenige Cent wert ist.

Teilnehmer und Medienvertreter stehen vor Beginn der ersten Gläubigerversammlung im Wirecard-Insolvenzverfahren in einer Schlange vor dem Löwenbräukeller. Knapp fünf Monate nach dem Auffliegen des mutmaßlichen Milliardenbetrugs beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard steht die erste Gläubigerversammlung auf der Tagesordnung. | Foto: picture alliance/dpa | Sven Hoppe
Teilnehmer und Medienvertreter stehen vor Beginn der ersten Gläubigerversammlung im Wirecard-Insolvenzverfahren in einer Schlange vor dem Löwenbräukeller. Knapp fünf Monate nach dem Auffliegen des mutmaßlichen Milliardenbetrugs beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard steht die erste Gläubigerversammlung auf der Tagesordnung. | Foto: picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Mittlerweile steht fest, dass sie Anleger wohl leer ausgehen werden. Denn was Insolvenzverwalter Michael Jaffé vom Konzern noch vorfand, wird nicht reichen, um die Gläubiger auszubezahlen. Denn auch die Verkäufe der einzelnen Unternehmensteile haben nicht die erhofften Erlöse gebracht.

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