Bei einer Diskussionsrunde des Handelsblatts haben Ökonomen mit Lesern über den Kurs der Europäische Zentralbank (EZB) diskutiert. Dabei dominierte die Kritik an der ultralockeren Geldpolitik der Notenbank.
Bei der Veranstaltung unter dem Titel „Wohin treibt uns die EZB?“ äußerte sich unter anderem Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied des Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen kritisch zur Geldpolitik der EZB. „Der Wirtschaft geht es doch gut, die Beschlüsse vom vergangenen September waren nicht notwendig“, so Wieland in Bezug auf die Zinssenkung auf minus 0,5 Prozent und neue Nettozukäufe von Anleihen der EZB im Herbst 2019.
Die EZB solle möglichst früh beginnen, die Zinsen zu erhöhen, aber dann sehr vorsichtig und in kleinen Schritten. Bei der Inflationsmessung solle sie zudem nicht nur auf die Verbraucherpreise schauen, sondern zum Beispiel auch Baupreise oder die Produktionspreise der Industrie stärker beachten.
Katharina Utermöhl, Europa-Ökonomin bei der Allianz, nahm die EZB hingegen in Schutz. Neben der EZB sei auch die Politik gefragt, mit Reformen das Wachstum in Gang zu setzen, um so am Ende wieder zu höheren Zinsen zu kommen: „Wenn man wirklich will, dass die Zinsen steigen, dann ist nicht nur die EZB gefragt. Vor allem in Deutschland geht es um staatliche Strukturpolitik.“
Sie befürchtet, dass Deutschland den strukturellen Wandel in der Digitalisierung verschlafen könnte.
Unternehmensteuern senken
Wieland widersprach den zurzeit viel diskutierten Vorschlägen, mit höheren Staatsschulden für mehr öffentliche Investitionen zu sorgen und regte an, private Investitionen anzureizen.
Auch die Idee, dass Deutschland die EZB unterstützen sollte, lehnte er ab: „Wir brauchen nicht die deutsche Fiskalpolitik, um das Preisstabilitätsziel der EZB zu erreichen. Finanzminister Olaf Scholz soll sich auf Deutschland konzentrieren und Christine Lagarde auf Europa.“
Unterschiedlicher Meinung waren die beiden Experten des Abends auch bei der Frage, ob Minuszinsen oder Anleihekäufe im Zweifel zu bevorzugen seien. Utermöhl verwies auf die schädlichen Folgen der Minuszinsen für Sparer und das Finanzsystem und plädierte eher für Anleihekäufe. Wieland dagegen hält Anleihekäufe für besonders schädlich, weil sie die langfristigen Zinsen drücken, die letztlich für Sparer und Banken wichtiger seien als die kurzfristigen Sätze.
Einig waren sich die beiden Fachleute darin, dass mit der seit November amtierenden EZB-Präsidentin Christine Lagarde ein neuer, mehr auf Ausgleich bedachter Kommunikationsstil in der Geldpolitik Einzug gehalten hat. Wieland zog einen Vergleich: „Lagarde führt die EZB wieder mehr so wie unter Jean-Claude Trichet.“
Utermöhl befürchtete allerdings: „Es kann sein, dass beim Thema Klimapolitik kein Konsens zu finden ist.“ Auf der anderen Seite gibt es im EZB-Rat Gegner von grün ausgerichteten Anleihekäufen.
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