Zahlungsmoral der Firmen sinkt

Trotz der Corona-Krise sind auch im Mai weniger Firmen in die Pleite gerutscht als ein Jahr zuvor. Doch warnen Experten, dies könne die Ruhe vor dem Sturm sein. Darauf deutet auch eine aktuelle Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hin: Danach scheint bei etlichen Firmen allmählich das Geld knapp zu werden. Das Indiz: Immer mehr offene Rechnungen werden nur noch mit Verspätung bezahlt.
Das Zahlungsverhalten der Unternehmen sei aktuell so schlecht wie noch nie seit Beginn der Erhebung im Sommer 2015, klagt die Wirtschaftsauskunftei und warnt vor einer Kettenreaktion.
Destatis meldet für Mai weniger Insolvenzen
Auf den ersten Blick ist die Lage in der deutschen Wirtschaft trotz Pandemie noch erstaunlich gut. Insgesamt verzeichneten die deutschen Amtsgerichte im Mai nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gerade einmal 1.504 Firmenpleiten. Das waren 9,9 Prozent weniger als im gleichen Vorjahresmonat.
Die meisten Unternehmensinsolvenzen gab es im Handel einschließlich Kfz-Werkstätten mit 247 Fällen. Unternehmen des Baugewerbes stellten 235 Insolvenzanträge. Im Bereich der freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen wurden 168 und im Gastgewerbe 164 Insolvenzanträge gemeldet.
Forderungshöhe steigt
Im Schnitt waren die Betriebe allerdings größer als vor einem Jahr, denn die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger lagen mit knapp 3,1 Mrd. Euro deutlich über der Summe des Vorjahresmonats von 2,5 Mrd. Euro.
Ein wichtiger Grund für die vergleichsweise positive Entwicklung der Insolvenzzahlen ist allerdings, dass die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen seit dem 1. März 2020 ausgesetzt ist. Die wirtschaftliche Not durch die Corona-Krise spiegele sich somit bislang nicht in der Pleitebilanz wider, folgerten die Statistiker.
Zahlungsmoral? Laut Creditreform: düster
Umso wichtiger werden deshalb andere Indikatoren für die Bewertung der Lage der Wirtschaft: beispielsweise die jüngste Creditreform-Studie zur Zahlungsmoral. Ihr Bild fällt deutlich düsterer aus als die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Die Creditreform-Experten haben rund 3,5 Mio. Rechnungsbelege aus dem 1. Halbjahr ausgewertet und kommen zu dem Ergebnis: "Insgesamt hat die Krise einen spürbaren Druck auf die Liquidität erzeugt."
Die durchschnittliche Verzugsdauer bei offenen Rechnungen in der deutschen Wirtschaft sei im ersten Halbjahr auf 10,82 Tage gestiegen, berichtete Creditreform. Mit 2.188 Euro lag der Durchschnittsbetrag der verspätet bezahlten Rechnungen außerdem um gut fünf Prozent über dem Vorjahresniveau und sogar rund 23 Prozent höher als 2016.
Industrie und Exportbranchen besonders unter Druck
Negative Auswirkungen der Pandemie auf das Zahlungsverhalten ließen sich vor allem in der Industrie und in Exportbranchen beobachten. Beide Bereiche seien von der Krise unmittelbar getroffen worden.
Ein Anstieg der Zahlungsverzögerungen bedeute für die davon betroffenen Vorlieferanten und Kreditgeber höhere Ausfallrisiken, warnte Creditreform. "Damit droht eine Kettenreaktion insbesondere in stark verflochtenen Wirtschaftsbereichen bis hin zu vermehrten Insolvenzanmeldungen."
Creditreform hatte bereits Mitte Juni gewarnt, Deutschland drohe "eine Insolvenzwelle von bisher nicht gekanntem Ausmaß", falls sich die Wirtschaft nicht rasch von dem durch die Corona-Pandemie ausgelösten Konjunktureinbruch erhole. Nach Einschätzung von Experten könnte es einen Anstieg der Firmenpleiten um bis zu 20 Prozent geben, hieß es damals.
Creditreform befürchtet Insolvenzwelle im 2. Halbjahr
Bereits seit einiger Zeit wird deshalb die Forderung lauter, die Insolvenzantragspflicht über Ende September hinaus auszusetzen. Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach sich, wie berichtet, am Wochenende dafür aus, überschuldete Unternehmen noch länger von der Pflicht zum Insolvenzantrag befreien - bis März 2021.
Lambrecht will Pflicht zum Insolvenzantrag bis Ende März aussetzen